Jeder kennt die Geschichte von Candyman – dem schwarzen Künstler und Sohn einer Sklavin, der die Liebe einer weißen Frau mit seinem Leben bezahlte und dann als rachsüchtiger Geist wiedergeboren wurde. Tony Todd brillierte in dieser Rolle vor dreißig Jahren am Set von Bernard Roses Candyman – er lieferte eine bravouröse, elektrisierende Vorstellung ab, dank derer sein Name noch immer wie ein Monarch klingt.
Am Freitag werden die Kinobesucher wieder vor dem kultigen Killer mit dem Haken statt der Hand zittern. Und ich habe eine gute Nachricht für sie: Todd kehrt im neuen Candyman zurück, wo er erneut mit seiner rauen Stimme und seiner Vokalisierung wie aus dem Jenseits hypnotisiert.
Candyman – spoilerfreie Rezension
Das Original von Candyman (1992) war ein sozialer Horrorfilm, in dem Rose die Klassen- und ethnischen Ungleichheiten in den Vereinigten Staaten und die Mechanismen, durch die kulturelle Ängste geformt werden, untersuchte. Der Film legte den Grundstein für spätere Post-Horror-Filme unter der Regie von Jordan Peele (Escape!, This Is Us) und inspirierte unter anderem das Duo Gerard Bush-Christopher Renz zu Antebellum.
Peele hat dem neuen Teil der Serie seinen Stempel aufgedrückt. Candyman – mit seinem Drehbuch und unter der Regie von Nia DaCosta – ist weder ein Remake noch ein sanfter Reboot, sondern einfach eine Fortsetzung des Originals. Der junge Maler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) zieht mit seiner Freundin in eine schicke Wohnung im Chicagoer Stadtteil Cabrini. Das berühmt-berüchtigte Viertel war vor Jahren der Schrecken der Stadt, aber heute wird es von Hipstern und Künstlerkreisen dominiert. Der Mann lernt zunächst die Legende des angeblichen Mörders Helen Lyle und dann Candyman selbst kennen und beginnt, Bilder zu schaffen, die an seine blutigen Verbrechen erinnern. Er wird von seiner Kreativität besessen und öffnet dabei die Tür des mythischen Gespenstes zurück in unsere Welt.
Im ersten Teil der Serie war das Viertel Cabrini-Green von Kriminellen und Entgleisern bevölkert, während es in DaCostas Serie eine Gentrifizierung erfahren hat. Das Gespenst vergangener Massaker schwebt noch immer über dem Viertel – hier trat Candyman in Erscheinung – ebenso wie aggressive Polizeieinsätze. In den 1970er Jahren wurde Sherman Fields (Michael Hargrove), ein einarmiger Obdachloser, der Süßigkeiten an Kinder in der Umgebung verteilte, in Cabrini-Green getötet. Er wurde fälschlicherweise verdächtigt, Rasierklingen in die Süßigkeiten gesteckt zu haben, und wurde zu Tode geknüppelt.
Peele hat sich eine Geschichte ausgedacht, in der Chicago unter dem Fluch mehrerer Candymans steht – einer von ihnen ist der den Horrorfans wohlbekannte Daniel Robitaille (Todd), ein anderer ist Fields, der in einem Akt sinnloser weißer Wut getötet wurde. Der neue Candyman ist ein Film über die zerstörerische Kraft von Schauergeschichten, über die Veränderungen, die durch öffentliche rassistische Handlungen hervorgerufen werden. Candyman ist in DaCostas Fall nicht nur Todd, sondern ein ganzer Schwarm schwarzer Männer, die sich ihren weißen Unterdrückern zu Füßen gelegt haben.
Candyman (2021) – Rückblick. Der Film ist ab 26. August in den Kinos zu sehen
Als Reinkarnation des Originals ist der Film ein viel direkterer Kommentar zur Rassendiskriminierung und ihren bedauerlichen Folgen. Was manchen Zuschauern wie ein „Aufwärmen der Koteletts” vorkommen wird, regt zum Nachdenken an und bringt im Finale sogar ein Gefühl der Katharsis, des Abwaschens vergangener Tragödien. Peele und DaCosta bezaubern das Publikum nicht: Gewalt gegen Afroamerikaner ist in den Vereinigten Staaten immer noch alltäglich; sie ist im Laufe der Jahrzehnte nicht verschwunden – sie hat nur ihre Form verändert. Das Duo möchte, dass die Zuschauer (einschließlich der Schwarzen) sich ihrer Angst stellen und sie kontrollieren. Denn manchmal kann das Anschauen von Horrorfilmen mit einer Therapie verglichen werden, und der Kontakt mit einem – mehr oder weniger echten – Monster kann helfen, reale Ängste und Traumata zu überwinden. Auf eine solche Therapie setzten die Macher von Candyman.
So ist das Monster in Candyman die Gewalt gegen Schwarze, und der Name des titelgebenden Geistes, der fünfmal ausgesprochen wird, ist ein Akt des Gedenkens an das Opfer – eigentlich an die Opfer im Plural. DaCostas Film ist eine Metapher für ein generationenübergreifendes Trauma, eine Geschichte über erstickende, schmerzhafte Gefühle. Es geht darum, diesen Schmerz zu benennen und damit den Opfern des Rassismus zu gedenken. Schließlich ist es eine Horrorgeschichte über die Verfolgung von Minderheiten und darüber, wie pendelnd eine solche Unterdrückung sein kann – wie sich die Geschichte gerne im Kreis dreht, wie sich die Spirale des Hasses dreht. Manche werden Peele vorwerfen, die Geschichte von Candyman zu sehr zu politisieren. Gleichzeitig ist Robitaille seit jeher ein Symbol für rassistische Lynchjustiz; bis heute ist er eine der berühmtesten Filmfiguren, die Opfer eines Hassverbrechens geworden sind. In der Zwischenzeit hat sich die Verfolgung von Afroamerikanern verschärft – und das ist es wert, dass man sich dazu äußert, und sei es nur mit dem Entsetzen, das schon immer ein Mittel der Gesellschaftskritik war.
Der neue Candyman ist ein angriffslustiger, brutaler und eindrucksvoller Horrorfilm. Im Film bricht Anthony (der hervorragende Abdul-Mateen) emotional zusammen und verfällt in eine erzwungene Psychose. Sein Werk ist, wie der Film selbst, von sozialem Bewusstsein geprägt, aber die Genieblitze des jungen Künstlers haben die Kritiker der Malerei gelangweilt. Also beschließt er, die Grenzen der Kunst zu erweitern und seine Arbeit auf eine ganz neue Ebene zu bringen – Candyman wird ihm dabei helfen. Anthony ist ehrgeizig: Er träumt insgeheim davon, dass seine Bilder unsterblich werden, wie Robitaille. In einer obsessiven Trance beobachtet er, wie die Grenzen zwischen der realen und der übernatürlichen Welt verschwimmen.
Die Entschlossenheit des Malers wird durch die Tatsache verstärkt, dass er von den Snobs der Chicagoer Kunstszene herumgestoßen wird – in einigen Fällen wegen seiner Hautfarbe. Denn Kunstfertigkeit, Einfluss oder sogar Reichtum schützen nicht immer vor den Tentakeln des Rassismus. Einer von Anthonys Verbündeten fasst dies treffend zusammen, indem er über Kuratoren schwarzer Talente Folgendes sagt: „Sie lieben unsere Arbeit, aber sie verachten uns”. Anthony ähnelt also einerseits Todds Candyman – selbst ein sensibler und missverstandener Künstler – und wird andererseits zum Opfer paranormaler Kräfte. Wie im ersten Candyman zeigt der Film einen Tanz zwischen dem Opfer und dem Monster, das die Fäden zieht. Es ist eine Trance, aus der sich Anthony nicht befreien kann.
Candyman – Jordan Peele über generationenübergreifende Traumata
In Candyman bricht nicht nur Anthonys Psyche, sondern auch sein Körper auseinander – die Handlung ist direkt aus Cronenbergs Die Fliege entlehnt. Die Wunde von einem Bienenstich schwillt an und verzweigt sich in beängstigendem Tempo auf die gesamte Hand des Mannes – die Hand, die später die grausigen Gemälde anfertigt. Verblüfft erlebt Anthony beunruhigende Visionen: In dem gespiegelten Bluterguss sieht er statt seiner selbst Sherman Fields. DaCosta hat im Film so geschickt mit dem Motiv des Spiegels gespielt, dass der Zuschauer nach der Vorführung Angst hat, an einer Glasscheibe vorbeizugehen. Am interessantesten ist die Verwendung des Spiegeltopos in der Szene mit Clive (Brian King) und Jerrika (Miriam Moss).
Er ist Angestellter einer Kunstgalerie und sie ist seine Assistentin. Nach einer erfolgreichen Vorführung, wenn die Gäste den Raum verlassen und das Licht ausgeht, versucht das Paar, vor einem Spiegel Sex zu haben. Im Laufe des perversen Spiels wird ein Vorschlag gemacht: Lasst uns die Legende von Candyman testen, indem wir seinen Namen skandieren. Der mit einem Haken bewaffnete Geist kommt, weil er darum gebeten wurde, aber er hat keine friedlichen Absichten. Die Szene besticht durch ihre protzige technische Ausführung: das Spiel von Licht und Schatten, die surreale Farbgebung der Kulisse und sicherlich auch die Gore-Effekte. Das Motiv des Todes vor dem Geschlechtsverkehr ist ein klassisches Slasher-Motiv, aber die Körper der Schauspieler werden auf eine viel einfallsreichere und originellere Weise verstümmelt. Ein so geniales Massaker hat man schon lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen.
Zwei weitere Tötungssequenzen (in einer Schultoilette und in der Wohnung eines aufgeblasenen Kritikers) sind ebenfalls brillant ausgedacht. In beiden Fällen werden die Opfer von dem süchtigen Mörder getötet, obwohl der Mörder in Wirklichkeit ein schwer fassbares Gespenst ist – nach dem Motto: Wir fürchten das, was wir nicht sehen können. Candyman ist als mörderisches Wesen viel seltener auf dem Bildschirm zu sehen als im vorherigen Teil der Reihe (Day of the Dead, 1999), aber auf diese Weise wächst das Grauen bei dem Gedanken, dass er aus dem Nichts auftauchen wird. Auf diese Weise sind seine Enthüllungen viel effektiver. Tony Todd tritt in dem Film als König der Candymans auf und spielt in der emotional stärksten Szene mit. Seine Ikonizität wird von Peele legitimiert, und der Figur selbst wird hier eine Statue errichtet. Die Chancen stehen gut, dass Todd Candyman in Zukunft noch einmal spielen wird, vielleicht sogar in einer Fortsetzung aus demselben Team.
Candyman – Rezension. Die Premiere des erwarteten Horrorfilms
Der Film zeichnet sich durch eine brillante Inszenierung und einen sehr ausdrucksstarken, zuweilen fast expressionistischen visuellen Stil aus. In der Tat hat jedes Bild eine Art von Kontext und setzt ein emotionales Feuer frei. Schon in den ersten Szenen beweist DaCosta, dass ihr eine lange und fruchtbare Karriere als Regisseurin bevorsteht. Schon der Auftakt, in dem gläserne Wolkenkratzer Cabrini-Green von einer bisher unbekannten Seite zeigen, besticht durch seine kinematografische Strategie. Der Prolog bezieht sich auf die Eröffnungsszene des Original-Candyman. Dort wurde ein Querschnitt durch Chicago aus der Vogelperspektive gezeigt, der die Übergänge zwischen den wohlhabenden Vierteln und dem Ghetto verdeutlicht. Im neuen Candyman schauen wir von der Straße aus auf die Wolkenkratzer, und die Kamera scheint rückwärts zu gehen, eine Rückwärtsbewegung zu machen. Es ist, als ob sie das kommende Grauen vorhersieht; sie akzeptiert nicht den Prozess der Gentrifizierung, die Entwicklung der Stadt. Die Eröffnung in Candyman basiert auf dem Spiel mit Perspektive und Illusion. Der gesamte Film ist visuell atemberaubend.
Candyman von Jordan Peele und Nia DaCosta ist ein Beispiel für das, was man als gehobenen Horror oder Salonhorror bezeichnet. Obwohl er erschrecken soll (und seine Hauptaufgabe erfüllt), ist er auch eine Moralgeschichte, eine Geistergeschichte, die aus einer „schwarzen” Perspektive geschrieben wurde. Sie gibt einer unterdrückten Minderheit Kraft. Es ist ein Film über strukturelle Gewalt, rassistische Vorherrschaft und darüber, den Opfern eine Stimme zu geben. Schließlich ist es ein Horrorfilm über Polizeibrutalität – ein Problem, das in den letzten Jahren auch in Polens Hinterhof eskaliert ist. In dem Film sind Bienen ein Symbol für Rassismus und kollektive Aggression, und das bienenzentrierte, kollektive Denken wird von Anhängern der ethnischen Segregation vertreten. Die Filmemacher haben Candyman eine neue Form gegeben und eine neue, nicht minder furchterregende urbane Legende im Film zitiert. Gleichzeitig respektierten sie die aus dem Original bekannte Mythologie. In ihren Händen ist das Ergebnis eine perfekt ausgewogene Mischung aus psychologischem und physischem Horror, ein Horrorfilm mit einer Botschaft. Dies ist ein starker Anwärter auf den besten Genrefilm des Jahres.